Nur eine Viertelstunde dauert es, bis wir die Formulare an der russischen Grenze ausgefüllt, die schwer bewachten Schranken passiert, die wichtige Migration-Card im Pass und den Zoll-Bereich hinter uns gelassen haben. Eine echte Überraschung, hatten wir doch mit einer mehrstündigen Odyssee am Grenzübergang zwischen der ukrainischen Hafenstadt Mariupol und dem russischen Taganrog gerechnet.
Von einem Kilometer auf den anderen ändert sich nicht nur die Währung, sondern auch das allgemein übliche Verhalten der Verkehrsteilnehmer: Russen fahren grundsätzlich nicht über durchgezogene Linien, von denen es auf einmal reichlich gibt. Für Radler, die über weite Strecken ohne brauchbaren Seitenstreifen zurechtkommen müssen, bedeutet dies vor allem eins: Stress. Die unzähligen mit bunten Plastikblumen geschmückten Kreuze und Gedenksteine, die an Verkehrstote erinnern, machen die Lage nicht gerade besser. Ebenso das Gewitter mit Gegensturm und strömendem Regen, das wir in der südrussischen Steppe nach Überqueren des Don erleben. Jedes Auto, jeder Laster taucht uns in eine Wolke aus trübem, braunem Spritzwasser. Trotzdem treffen wir vollkommen unversehrt, wenn auch schmutziger denn je und mit der vierten gebrochenen Speiche nach 3605 Kilometern und 36 Radltagen in Wolgograd ein – dem ehemaligen Stalingrad, in dem das Trauma des zweiten Weltkriegs noch heute überall präsent ist.
Wir lassen hier beide Hinterräder neu einspeichen und kommen in einer gemütlichen Privatunterkunft unter, die uns der hiesige Fahrradclub Orion organisiert. Am 21. Mai werden wir die Wolga, einen der größten Flüsse der Welt, auf einer Brücke überqueren, die bei Sturm in Schwingung versetzt zu tanzen scheint, und dann dem mächtigen Strom auf seiner östlichen Seite bis nach Astrachan kurz vor der kasachischen Grenze folgen.
(nach einer Aufzeichnung von Annette Kniffler)
Servus chicos,
ich wünsch EUCH, dass weiter alles rund läuft. Grüsst die Russen von mir. Alles Liebe aus Buenos Aires. Passt gut auf euch auf. Drück EUCH Henriette